"Nicht mal die Hälfte der Paletten erfüllt die Regeln" - ISPM 15

Palettenkennzeichnung Zitierter Text von welt.de: „Jeder dritte Lkw könnte bald stehen“ – darum droht uns ein Paletten-Problem Seit dem Brexit gelten für Transport-Paletten strengere Regeln. Denn jetzt ist eine Schädling-Behandlung nötig. Weil die oft ignoriert wird, dürfte es an den Grenzen schon bald Ärger geben – genauso wie an den Supermarkt-Regalen. Paletten fristen üblicherweise ein Schattendasein. Kaum jemand interessiert sich für die Transportmittel – außer es gibt ein Problem. Dann wird der breiten Öffentlichkeit schlagartig vor Augen geführt, welche Bedeutung die unscheinbaren Träger aus Holz, Plastik oder bisweilen auch Pappe für den Transport von praktisch jeder Art von Waren haben. Dieser Tage nun bekommen Paletten große Aufmerksamkeit. Denn im Zuge des Brexits droht für den Handel zwischen der Europäischen Union (EU) und Großbritannien ein großes Paletten-Problem. „Jeder dritte Lastwagen könnte deswegen bald stehen bleiben“, warnt Joachim Hasdenteufel, der Präsident des Bundesverbands Holzpackmittel, Paletten und Exportverpackung (HPE). Hintergrund ist der sogenannte Internationale Standard für Phytosanitäre Maßnahmen (ISPM) und dort konkret die Vorschriften unter Punkt 15. Diese Norm der FAO, also der Nahrungsmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, regelt den Schutz von Pflanzen und schreibt in Kapitel 15 vor, dass Verpackungsmaterialien aus Holz im grenzüberschreitenden Verkehr gegen mögliche Schädlinge behandelt werden müssen. Nicht mal die Hälfte der Paletten erfüllt die Regeln Neu ist diese Vorgabe nicht, es gibt sie sogar schon seit 2003. Im Europa offener Grenzen findet die Norm innerhalb des Wirtschaftsraums EU wie auch bei dessen Handel mit der Schweiz aber keine Anwendung. Anders jetzt im Fall Großbritannien: Weil das Land die EU verlassen hat, gilt es als Drittstaat. Und deswegen muss ISPM-15 dort nun umgesetzt und kontrolliert werden. „Viele Firmen haben bereits reagiert und beachten den Standard. Es gibt aber noch immer eine ganze Reihe von Unternehmen, die nichts davon gehört haben oder es schlicht darauf ankommen lassen“, berichtet Hasdenteufel im WELT-Gespräch. Nach Einschätzung des HPE entspricht derzeit nicht mal die Hälfte der Paletten, die zwischen Großbritannien und der EU unterwegs sind, der ISPM-Vorgabe. „Gerade die Paletten von in Lagern schlummernden Waren sollten nun dringend kontrolliert werden“, rät Experte Hasenteufel, der im Hauptberuf den Holzpackmittelhersteller Hapack aus Montabaur in Rheinland-Pfalz führt. Verantwortung tragen am Ende nämlich die Exporteure auf beiden Seiten, nicht die Palettenhersteller und auch nicht die beauftragten Speditionen. „Wir weisen unsere Kunden auf die Thematik hin. Am Ende ist es aber ihre Entscheidung, ob sie Paletten mit oder ohne ISPM-Standard kaufen“, beschreibt Unternehmer Hasdenteufel. Mit Hitze gegen Insekten Pflicht sei das Siegel bislang nur bei den sogenannten Europaletten. Diese Transportmittel stehen aber nur für rund 20 Prozent des Marktvolumens. Weitere 30 Prozent entfallen auf die ebenfalls genormten Chemiepaletten, der mit Abstand größte Teil aber sind Sonderpaletten, die mit Individualmaßen auf einzelne Anwendungen zugeschnitten sind. Behandelte Packmittel bekommen an zwei Seiten entsprechende Brandzeichen, die von Zöllnern leicht überprüft werden können: zum einen ein Symbol in Form einer stilisierten Ähre und zum anderen eine Zahlen-Buchstaben-Kombination des Palettenherstellers mit Länderkürzel, Zulassungsnummer und der Kennzeichnung HT für „Heat Treatment“, also für die englische Übersetzung von „Wärmebehandlung“. Denn zum Schutz vor Schädlingen schreibt ISPM-15 vor, den Holzkern von neu produzierten Paletten für mindestens 30 Minuten einer Temperatur von über 56 Grad Celsius auszusetzen, zum Beispiel in einem Kammerofen. Alternativ kann aber auch eine Mikrowellenbehandlung erfolgen – eine Minute lang bei mindestens 60 Grad. „Bei beiden Verfahren lösen sich die Eiweißverbindungen von Insekten auf, wodurch sie am Ende absterben“, erklärt Branchenvertreter Hasdenteufel. Und das verhindere einen weltweiten Tourismus der Schädlinge, denen es in neuen Lebensräumen oftmals an natürlichen Feinden fehlt, weshalb sie sich dort schnell ausbreiten und großen Schaden anrichten können. Eine einzige Wärmebehandlung reicht dabei schon aus – weil die Schädlinge Experten zufolge nur frisches Holz befallen. Paletten sind oft Einmal-Produkte Holzpackmittel wie Paletten sind dabei das ideale Transportmittel angesichts des stetig zunehmenden globalen Warenaustauschs. Schätzungen zufolge sind derzeit rund 500 Millionen Paletten weltweit im Einsatz, 90 Prozent davon bestehen aus Holz. Ein Großteil dieser Warenträger wird in Deutschland hergestellt. In den vergangenen fünf Jahren jedenfalls lag die Produktionsmenge hierzulande stets bei rund 100 bis 110 Millionen Stück, meldet der Branchenverband HPE. Denn Sonderpaletten etwa zum Transport von Maschinen oder anderen Sperrgütern können meist nur einmal genutzt werden. Und auch die Einsatzzeit von Standardware wie Europaletten ist begrenzt, auch wenn sie so oft es geht wiederverwendet werden. Irgendwann sind die Beschädigungen aber zu groß, um einen sicheren Transport zu gewährleisten. Also wird Jahr für Jahr im großen Stil nachproduziert. Leere Regale in Supermärkten? Nun kann ausgerechnet dieses meistgenutzte Transportmittel zum Hindernis im Warenverkehr mit Großbritannien werden – zusätzlich zu den ohnehin schon handelserschwerenden Zollregelungen. Noch allerdings drücken Kontrolleure auf beiden Seiten des Ärmelkanals in Sachen Paletten offenbar ein Auge zu. „Uns sind bislang keine Vorfälle an den Grenzen bekannt, dass Ware wegen der Palettenkennzeichnung gestoppt worden ist“, sagt Jens Müller, der beim Logistikunternehmen Dachser die Organisation des Straßentransports verantwortet. Aber auch für die kommenden Wochen erwartet der Manager erst mal nicht, dass daraus ein Hemmnis für den Warentransport entsteht. Er könne sich jedenfalls nicht vorstellen, dass britische Zollkontrolleure etwa bei importierten Lebensmitteln wegen dieser Formalie das Risiko eingehen würden, in den Supermärkten für einige leere Regale zu sorgen. Tatsächlich dürfte eine strenge Kontrolle der Holzschutzzeichen aufwendig und durchaus zeitintensiv sein. Denn zum einen könnten die Klötze mit den Markierungen schlichtweg nicht von jeder Stelle aus zu sehen sein, je nachdem ob sie auf der Ladefläche quer oder längs gestapelt worden sind. Zum anderen hat ein Lastwagen je nach Größe und Aufbau zwischen 15 und 36 Palettenstellplätze, es gibt also auch quantitativ viel zu kontrollieren. Paletten als Konjunktur-Indikator Komplett schleifen lassen können die Zöllner das Thema indes nicht, heißt es. Zumal die Kontrollen ja auch im Handel mit anderen Ländern funktionieren. Hasdenteufel etwa rechnet daher spätestens im Sommer mit detaillierteren Prüfungen bei der Grenzabfertigung. Bei Beanstandungen werden die Paletten dann samt Waren zurückgesendet oder müssen auf Kosten des Versenders nachbehandelt werden, heißt es vom HPE. Von einem Paletten-Engpass gehen trotzdem weder die Hersteller noch die Logistiker aus, selbst bei stark steigender Nachfrage für ISPM-15-Ware. Es könne höchstens einen Zeitverzug geben, wenn Paletten nachbehandelt werden müssen. „Auf Dauer wird sich das Thema zudem herauswachsen“, sagt Dachser-Vertreter Müller. In ein paar Jahren werde es nur noch einzelne Exemplare der alten und nicht behandelten Holzpaletten geben. Das glaubt auch Hasdenteufel. „Die Kunden werden bald wohl keine Unterscheidung machen und komplett umschwenken.“ Anziehende Geschäfte kann die Branche derweil gut gebrauchen. Zwar ist die Palettenproduktion in Deutschland im ersten Halbjahr mengenmäßig sogar gestiegen, meldet der HPE – um 0,7 Prozent auf 55,7 Millionen Stück. Der Umsatzwert reduzierte sich gleichzeitig aber um 6,6 Prozent auf 426 Millionen Euro zurück. Das zweite Halbjahr war dann aber deutlich schwächer. „Bei Hapack liegen wir im Gesamtjahr 20 Prozent unter Plan“, berichtet Verbandspräsident Hasdenteufel von seinem eigenen Unternehmen. Immerhin sei der Dezember wieder gut gelaufen, ebenso der Januar. „Es scheint, dass Corona erst mal hinter uns liegt bei uns im Betrieb.“ Für die Wirtschaft insgesamt wäre das ein gutes Zeichen. Denn eine anziehende Palettennachfrage bedeutet immer auch einen sich belebenden Warentransport und damit mehr Handel. Zuletzt gab es sogar schon Probleme bei der Versorgung mit Holz. Dazu trägt allerdings auch der aktuelle Winter bei. „Bei Hapack rechnen wir 2021 mit einem Plus auf zumindest die verpassten Planzahlen des Vorjahres.“